Transalp 2002 ...

... Pain is temporary

 

Mit dabei: Johannes D., Stefan L., Helmut, Frank B., Markus S.,
August 2002

Tag 1:
05.22 Erlangen, 4 verschlafene Gesichter steigen mit ihren High-Tec-super-bergauf-fast-von-selbst-fahr-Bikes in den Zug. Mit dem Bayernticket geht es nach Mittenwald, selbst die Fahrt ist schon anstrengend. Wie wird es wohl, wenn wir selbst treten müssen. Im Zug wurde Stefan schon mal der Radcomputer geklaut, in Mittenwald gab es Ersatz, dann kann es endlich los gehen. Auf einem Feldweg Richtung Scharnitz überqueren wir die Grenze nach Österreich. Bei gutem Wetter geht es auf Schotter durch das Karwendeltal, es wird langsam steiler, aber wir haben ja Kraft. Zumindest bis zur ersten Hütte. Mit 100 anderen Individualreisenden machen wir im Karwendelhaus Pause. Noch euphorisch geht es weiter, die erste Abfahrt auf Schotter. Genügend Gefälle und scharfe Kurven bringen genügend Adrenalin ins Blut, irgendwann wird unser Weg zum Bachlauf, die beste Spur ist im tiefsten Wasser, was soll´s, ist ja kein Kindergeburtstag, und durch. Nach einer herrlichen Klamm sind es nur noch ein paar Kilometer zur ersten Unterkunft in Eng. Eng liegt im großen Ahornboden, das Hochtal ist so eben, dass man nicht bemerkt das es doch ordentlich berg auf geht, man denkt, die Beine lassen scheinbar nach. In der Unterkunft erkennt der Ober gleich die Problematik und serviert uns eine mehrere Kilo schwere Nudelplatte. Das Leben ist wieder in Ordnung.

Tag 2:
Die erste Auffahrt des Tages geht flüssig, das Wetter scheint gut zu werden. Oben ist es dann doch ordentlich frisch, die steile Abfahrt auf losem Schotter fordert seinen Tribut, der erste Platten, Johann war halt doch wieder zu schnell. Während der Abfahrt geben die Wolken den Blick auf den Achensee frei, er strahlt leuchtend grün in der Sonne. In Schwaz treffen wir Frank, unseren 5. Mann.
Über Freundsberg, Pillberg geht es bei Weeberg auf Teer steil bergauf, die Sonne brennt, damals dachten wir das wäre anstrengend, dachten wir. Nach 12 km hört der Teer auf, nur noch 4 km auf Schotter, nur noch etwas steiler. Die Weidener Hütte wird unser Domizil für heute Nacht. Nudeln gibt es bis zum Abwinken, eine Jugend-Bergsteigergruppe sorgt auch Nachts für die entsprechende Unterhaltung im Lager. Wer kann sich an "Danger" erinnern?

Tag 3:
Gleich Morgens nach dem Frühstück macht sich die Alpenüberquererlawine auf den Weg. Zum Aufwärmen erst mal 400 hm auf schmalem Schotterweg, technisch anspruchsvoll. Das Geiseljoch beschert uns eine 10 km lange Abfahrt auf Schotter, der Tacho zeigt Vmax 69km/h, unten glühen die Bremsen, alle haben ein breites Grinsen im Gesicht. Über eine nicht enden wollende Auffahrt geht es zum Schlegeisspeicher. Die Staumauer ist schon lange in Sicht, sie wird immer größer, das Ziel kommt aber nicht näher. Am Speicher vorbei geht es auf einem wohl nicht zum Radeln gedachtem Weg stets bergauf bis uns der Berg die Grenzen aufweist. Das Rad muss 1,25 Stunden auf dem Rücken geschultert zum Pfitscherjoch getragen werden. Zum Glück fängt es auch noch das Regnen an. Das Joch ist erreicht, wir sind in Italien. Nur noch 200 Meter zur Hütte. Um das Pfitscherjochhaus fliegen die Wolken, es ist bitter kalt. Es ist kaum zu glauben, wie gut eine Nudelsuppe sein kann. Das Essen tut gut, es gibt kein Kalorienlimit, höchstens ein Minimum. Die Muskeln glühen noch immer, die Herzfrequenz geht auch Nachts nicht unter 100.

Tag 4:
Morgens will keiner aus der Hütte, es ist immer noch kalt und feucht, aber es muss weiter gehen. 14 km Flug ins Tal stehen vor uns. Nach 10 min fängt es das Regnen an. Die Kühlung von oben wird den ganzen Tag anhalten. Nun steht uns unser höchster Berg bevor, der Pfunderer, 2600 hm. 9 km, 12 - 14 % Steigung, Schotter und Trail. Der Berg bricht uns, früher oder später fängt jeder das Schieben an, nur Frank fährt immer noch, unglaublich. Oben regnet es quer, 2° C, es liegt noch etwas Schnee, ein Riegel, lange Klamotten und ab ins Tal. Die Abfahrt fordert alles, schnell, lang, steil, steinig, stufig, Schlamm und wie immer Kuhfladen.
Warum sind mitten auf dem Weg so viele Bremsspuren? Nach dem der Weidezaun wieder ordentlich hinterlassen wurde, fahren wir durch einen Bauernhof, dumm nur, dass die Jauchegrube durch den Regen übergelaufen war. Kein sehr appetitliches Bild. Gott sei Dank regnet es immer noch. Durch Wasser von oben und unten werden wir "etwas" gereinigt.
In der nächsten Wirtschaft würde man uns lieber in der Scheune bewirten, selbst die Bauern in Stallstiefeln gelten uns gegenüber als sauber und ordentlich gekleidet. Die Wirtin kocht uns einen riesigen Topf Nudelsuppe.
Zwischen St. Lorenzen, Moos und St. Vigil wird ein Tunnel durch den Berg gebohrt, die schmale Bergstraße ist ein einziger Stau, wir sind mit den Rädern klar im Vorteil, Baustellenampeln müssen nicht unbedingt beachtet werden. In St. Vigil kommt endlich der Wegweiser zur Pederü-Hütte, ein nicht enden wollender Weg führt stets bergauf. Der Tacho ist inzwischen ertrunken, macht aber nichts, denn das Roadbook ist schon lange nicht mehr zu lesen. Endlich, nach einer Kurve, kommt die Hütte, nach fast 100 km und 2500 hm im Regen.
Die nicht gerade freundliche Dame am Empfang sagt:" Sie hatten gestern gebucht". Nach einigem hin und her stellt sich heraus, dass ein ganzes Stockwerk frei ist. Wir werden mit gesalzenen Preisen bestraft, dafür beschlagnahmen wir einfach die Heizung als Trockenraum.

Tag 5:
Der Morgen ist schön, die Sonne scheint. Wir fahren zur Fanes-Hochebene, dort soll ein sagenumwogenes Volk gelebt haben, keiner bekommt die Geschichte zusammen. In der Fanes-Hütte wird der inzwischen bewährte Kraftmacher "Cola" eingeführt. Nach dem steilem Weg zum Limojoch werden wir wieder durch eine ordentliche Schotterabfahrt belohnt. Lästig sind heute nur die vielen Wanderer. Highspeed bringt wieder ausreichend Stoff ins Blut. Der Tacho zeigt diesmal max 77 km/h. Die Strafe folgt auf den Fuß: wieder mal ein Platten. Weiter ins Tal führt uns der Weg nach Cortina d Ampezzo zur Mittagspause. Die Stärkung ist nötig, es geht gleich wieder ordentlich bergauf. 10 km auf Schotter, der Weg ist neu angelegt. Der Bulldozerfahrer ist wohl im Suff einer Gämse nachgefahren. Der neue Weg ist teilweise so steil, dass er kaum begangen werden kann. Endlich am Rifugio angekommen, ist die Freude noch nicht groß, nach kurzer Pause geht es auf groben, losem Schotter weiter. Aber dann: der Fun-Faktor steigt sprunghaft an, 8 km ordentlicher Downhill. Frank übertreibt es wieder einmal, sein Bremsgriff hat sich tief in die Graßnarbe gebohrt und sieht nicht mehr ganz neu aus. Übernachtet wird am Passo Staulenza, das Essen ist wie immer nie zu viel, nach dem Menü geht noch ein Schnitzel, Oma´s Pfirsichkuchen erlebt das auskühlen nicht.

Tag 6:
Die Abfahrt nach Alleghe geht über eine Skipiste (steilste Abfahrt ohne Hindernisse), der Tacho packt es nicht mehr und zeigt 283 km/h an, na ja, ist halt auch nicht dafür gemacht. Eine lange Sepentinenschlange führt die Autofahrer ins Tal, wir können auf einem halsbrecherischem Weg den Berg "straidahaid" (fränkisch für gerade aus) abkürzen. Ein irrer Spaß, nur Helmut fand es nicht so lustig, 2 Speichen, natürlich auf der Ritzelseite sind gerissen. Nach einem Zwangsstop im Radladen in Alleghe geht es über San Tomaso und Cogul Richtung Passo Valles. Der Berg hört wohl nie mehr auf, 16 km zwischen 7 und 9 % werden zur Qual, oben werden die Zucker- Riegel- und Colareste konsumiert, Helmut droht den Ausstieg an, nach 4 km bergab nochmals 8 km Schotter bergauf. Helmut schiebt nur noch, Johann kann nicht mehr sitzen, Stefan ist schlecht drauf.
Wer als erster unten ist, hat gewonnen, nach einem kurzem Stück kommen wir auf eine geteerte Serpenienenstraße mit regem Verkehr. Die nächste Herausforderung: Wer überholt die meisten Autos? Johann und ich liefern uns einen erbitterten Zweikampf, welcher unentschieden ausgeht. Es fängt mal wieder an zu regnen.
Die Jugendherrbergsmutter ist außerordentlich zuvorkommend, wäscht und trocknet unsere gesamte Wäsche.
Die Verköstigung steht wieder einmal an, im Restaurant fallen wir durch mehrere Beistelltische auf. Helmut will immer noch aussteigen. Heute ist es spät geworden, fallen erst um 22.00 ins Koma.

Tag 7:
Beim Frühstück gibt Helmut bekannt: definitiv, er steigt aus, lässt sich von seiner Frau abholen, Johann, dessen Hintern seit gestern Blutspuren in der Hose hinterlässt, nutzt die Chance und steigt ebenfalls aus.
Frank, Stefan und ich fahren weiter. Heute steht die härteste Tour an: 80 km, 3500 hm, drei lange steile Berge. Schon bei der Abfahrt beginnt es wieder zu regnen. Es dauert über eine Stunde bis die Schmerzen in den Muskeln endlich weg sind, es gießt aus Eimern, es ist kalt, die Euphorie ist verflogen. Der erste Berg ist geschafft, im Rifugio stellen wir uns unter, es gibt nur heißen Tee. Frank beschließt umzukehren und sich von den anderen zum Zug bringen zu lassen. Für mehr ist kein Platz im Auto, Stefan und ich wollen auch nicht aufgeben, nach einer halben Sunde geht es im strömenden Regen weiter. Wir müssen steil bergab, fahren geht nicht mehr, der Regen hat unseren Weg zum Flusslauf gemacht. Wir stehen bis zum Unterschenkel im Wasser. Nach einer Stunde kommen wir auf eine befahrbare Straße, feinsandig, matschig, nass. Der Weg lässt sich kaum fahren, nach kurzem bergab stehen 1400 hm vor uns: Die Auffahrt zum Passo Cinque Croci.
Ich habe kaum noch Blicke für die Umwelt, es gibt nur noch den einem Meter vor meinem Rad. Fast oben sagt man uns, dass für heute Abend und morgen Sturm- und Orkanwarnung gegeben wurde. Toll, besser kann es ja auch nicht mehr kommen. Am Pass angekommen reißt die Wolkendecke auf und verwandelt unsere nassen Klamotten in eine Sauna, die Freude hält nur kurz an, 10 min. später regnet es schon wieder. Wir beschließen ins Tal abzufahren, den letzten Berg müssen wir weg lassen, es ist scheint zu gefährlich, der Wind wird immer stärker. In der erstbesten Absteige finden wir Unterkunft. Die übliche Zeremonie mit trockenlegen und Essen folgt.
Nach langem tüfteln auf der Wanderkarte finden wir einen Weg, auf welchem wir morgen direkt zum Gardasee kommen. Die letzten 2 Etappen können nicht gefahren werden, es besteht weiterhin Sturmwarnung. Noch einen Liter Wasser rein und raus, dann wie üblich ins Koma.

Tag 8:
Nach einem spärlichem Frühstück kommt das erste Highlight des Tages: Die Schuhe sind immer noch nass.
Das macht aber nichts, es regnet sowieso schon wieder. Die Muskeln schmerzen wie jeden Tag, selbst die Sehnen der Unterschenkel machen sich bemerkbar. Nach 70 km Teer und Regen überfahren wir den Passo St. Giovanni zwischen Rovereto und Riva, der See taucht vor uns auf. Es steigt ein erhebendes Gefühl in mir auf, es geschafft zu haben. Alle Schmerzen sind vergessen - Pain is temporary; Nach 525km, 15200 hm, nach 8 Tagen, nach 40,5 h im Sattel, einem aufgearbeiteten Hinterreifen, einem kompletten Satz Bremsbeläge kommen wir in Arco am Campingplatz an. Es steht schon der Sekt für uns bereit. Eine heiße Dusche, frisch riechende Klamotten und trockene Schuhe können einen zum glücklichsten Menschen der Welt machen.

Herzlichen Dank an Johann, Helmut, Frank, für dieses Erlebnis, vor allem aber an Stefan, der mit mir durchgehalten hat.

Markus